Aus dem Abschied geboren

Trauer findet immer statt. Auch wenn sie geleugnet wird. Ein verzweifeltes „Hossa!“ mit gellend lauter Musik und Alkohol kann dabei ebenso von Traue erfüllt sein, wie erschüttertes, verzweifeltes Weinen oder stiller Gram.

Bei der Trauer geht es nicht allein um die Sehnsucht nach den Verstorbenen. Wir sind ebenso an die Endlichkeit unseres eigenen Weges erinnert; daran, dass wir zerbrechlich sind. Viele Menschen klammern sich verzweifelt an das letzte bisschen Alltag, um den bohrenden Gedanken Einhalt zu gebieten.

Abgesehen von Beerdigungen haben wir kaum mehr gemeinsamen Formen, die Trauer als Gemeinschaftsprozess kennzeichnen. Lediglich in ländlichen Gegenden gibt es noch Traditionen wie das Tragen schwarzer Kleidung für ein ganzes Jahr und regelmäßige Besuche bei denen, die sich in Trauer befinden. Jedoch sind diese Formen gemeinsamer Trauer in modernen Großstädten kaum mehr zu finden.

Die Wege, der eigenen Trauer unter diesen Voraussetzungen dennoch Ausdruck zu verleihen, sind sehr individuell und intim. Ein Foto, ein Geruch, ein Lied im Radio.–- All das kann Erinnerungen in uns wachrufen und der Kampf mit den aufsteigenden Tränen beginnt.

Die Folgen eines nicht gelebten Trauerprozesses sind nicht messbar und dennoch deutlich wahrnehmbar. Eine herzzerreißende Sehnsucht, die unbeantwortete Sinnfrage wühlen unentwegt in unserem Innern. Die Folgen, die auch noch nach Jahren auftreten können, umfassen auf der körperlichen Ebene die ganze Palette stressbedingter vegetativer Störungen: Schwindelattacken, nervöse Herzbeschwerden, Schlafstörungen, Sexualstörungen, Immundefizite seien hier als einige Beispiele genannt. Auch Angstzustände, Depressionen und Suchtverhalten jeglicher Art, stehen oft in Verbindung mit unverarbeiteter Trauer. Wenn diese Symptome unmittelbar nach dem Tod eines nahestehenden Menschen auftreten, ist eine Verflechtung schwer zu übersehen. Der Trauerprozess beinhaltet jedoch einen Ablauf in Phasen. Das führt dazu, dass die Anzeichen unter Umständen erst nach Jahren auftreten.

Tatsache ist, dass in einer üblichen ärztlichen Behandlung solche Zusammenhänge oft nicht wahrgenommen werden. Auch Ärzte und Pflegepersonal sind nicht auf Trauer und deren Folgen vorbereitet, geschweige denn ausgebildet, Trauernde fachgerecht zu begleiten. Auch in naturheilkundlichen Behandlungen werden diese Zusammenhänge bei weitem nicht genügend beachtet. Ein allgemein-gesellschaftliches Tabu betrifft dabei vor allem die Trauer um Ungeborene oder totgeborene Kinder.

Wenn Trauer der (offenkundige) Anlass für eine gesundheitliche Störung ist, bleibt unter heutigen Erstattungsbedingungen der Krankenkassen oft nur der Griff zu Psychopharmaka als vermeintlicher Rettungsanker. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die unendliche Sehnsucht nach den Verstorbenen auch zu einem „Hinterhereffekt“ führen kann. Unfälle und lebensbedrohliche Erkrankungen sind Möglichkeiten, sich aus dem Staub dieser Welt, auf den Weg fort vom Leben zu machen.

All diese Erscheinungen sind als Störung eines physiologischen Trauerprozesses zu werten. Es ist notwendig, dem einzelnen Betroffenen Menschen zur Seite zu stehen und ihm ansatzweise einen Platz in der Gemeinschaft anzubieten. Dazu reicht ein sehr privates Vertrauensverhältnis zwischen PatientIn und TherapeutIn nicht aus. Die ganze Gesellschaft muss hier in die Pflicht genommen werden. Dass dies in einer „Spaßgesellschaft“ kein leichtes Unterfangen ist, ist unbestreitbar.